Sitzung 18. Oktober 2011

Drucksache Nr. 14/11

219. Sitzung des Planungsausschusses, 18.10.2011

V O R L A G E
des Verbandsvorsitzenden an den Planungsausschuss

TOP 4 
Information über aktuelle Rechtsprechung zur Landesplanung

Anlagen:

  1. Bundesverwaltungsgericht vom 16.12.2010 - Auszug
  2. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof vom 20.04.2011 und vom 25.05.2011 - Auszug
  3. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie vom 26.07.2011 (Information über neuere Rechtsprechung; Soll-Ziele) und vom 19.09.2011 (Information über neuere Rechtsprechung – Anbindungsziel des LEP)
  4. Auszug Landesentwicklungsprogramm Bayern: B VI 1.1 und 1.5

  

I. VORTRAG

 Viele Jahre lang war umstritten, ob die in Bayern verwendeten Sollvorschriften den Anforderungen an Ziele der Raumordnung entsprechen.

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Sie entfalten über § 1 Abs. 4 BauGB unmittelbare und nicht abwägbare Vorgaben für die kommunale Planung, die sich diesen Zielen anpassen muss. Dagegen sind Grundsätze der Raumordnung Belange mit einem besonderen Gewicht in nachfolgenden Abwägungsentscheidungen, unter anderem der Kommunen.

1. Das Bundesverwaltungsgericht hält in seinem Urteil vom 16.12.2010 – 4 C 8/10 – fest:

  • Auch landesplanerische Aussagen in Gestalt einer Soll-Vorschrift können ein Ziel im oben genannten Sinne darstellen, wenn der Plangeber neben der Regel auch die Voraussetzungen der Ausnahme mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festlegt.
     
  • Ob eine Soll-Vorschrift als Ziel in diesem Sinne oder als Grundsatz normiert ist, ist im Wege der Auslegung auf der Grundlage des Plans zu ermitteln.
     
  • Bei der Auslegung einer Soll-Vorschrift ist maßgebend, ob der Plangeber selbst Anhaltspunkte für die Reichweite atypischer Fälle und damit die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Vorschrift auch ohne förmliches Zielabweichungsverfahren eine Ausnahme von der Zielbindung zulässt, mindestens bestimmbar festlegt. Dabei sind die Zielvorstellungen des Plangebers und der Normzusammenhang heranzuziehen.

2. Mit den Urteilen vom 20.04.2011 und 31.05.2011 knüpft der Bayerische Verwaltungsgerichtshof an die bisherige Rechtsprechung des VGH und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2010 an. In beiden Fällen geht es nicht um eine landesplanerische Norm als Gegenstand einer rechtlichen Überprüfung. Normen der Raumordnung waren hier Maßstab bei der Überprüfung von kommunalen Bebauungsplänen.

In Anlage 2 sind die maßgebenden Stellen der beiden Entscheidungen auszugsweise gegenübergestellt.

Nach diesen Urteilen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich folgendes:

  • Der Verwaltungsgerichtshof folgt der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei den Voraussetzungen, unter denen Soll-Aussagen Ziele als Ziele der Raumordnung gelten.
     
  • Allein aus der Bezeichnung eines Plansatzes als Ziel lässt sich nicht ableiten, dass es sich auch in der Sache um Ziel des § 1 Abs. 4 BauGB handelt. Dies hängt von der Planaussage selbst ab. Es kommt also nicht auf die Bezeichnung der Norm an, sondern auf den Inhalt der Norm, der durch Auslegung gewonnen werden muss.
     
  • Neben einigen Festlegungen in den überprüften Regionalplänen erfüllen die Festlegungen des LEP 2006 unter B VI 1.1 sowie B VI 1.5 (siehe Anlage) die Anforderungen an ein Ziel der Raumordnung demnach nicht.
     
  • Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zieht für die Prüfung, ob die Normen im LEP B VI 1.1 und 1.5 als Ziele gelten können, in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts folgende Kriterien heran:
    • Die als Soll-Vorschrift formulierten Festlegungen selbst,
    • weitere Planaussagen,
    • Zusammenschau der Festlegungen des LEP,
    • die insgesamt im LEP zum Ausdruck kommenden Vorstellungen und Regelungszusammenhänge.

3. Mit den beiden in Anlage 3 abgedruckten Informationsschreiben des Wirtschaftsministeriums zur neueren Rechtsprechung: Soll-Ziele und Anbindungsziele des LEP informiert das Staatsministerium über die genannten Urteile. Es vertritt die Auffassung, dass es sich beim sogenannten Anbindungsgebot des LEP B VI 1.1 Abs. 3 Satz 2 um ein Ziel der Raumordnung handelt, das beachtet werden müsse. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sei auf die Begründung des Ziels im LEP nicht eingegangen, die drei Ausnahmetatbestände enthält. Ein anderer Senat sei in der Begründung seines Urteils (Normenkontrolle eines LEP-Ziels) explizit auf die Begründung des LEP-Ziels eingegangen.

Gegen die Feststellung des VGH, die Normen LEP B VI 1.5 und auch die restlichen Normen LEP B VI 1.1 seien keine Ziele der Raumordnung, wendet sich das Ministerium nicht.

4. In der Sache spricht auch hinsichtlich der LEP-Norm B VI 1.1 Abs. 3 Satz 2 (Anbindungsgebot) viel für die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Ausweislich der Begründung der Urteile hat er nicht nur die Norm selbst, sondern auch weitere Planaussagen und eine Zusammenschau der Festlegungen des LEP für seine Entscheidung herangezogen, insbesondere „die im LEP insgesamt zum Ausdruck kommenden Vorstellungen und Regelungszusammenhänge" (Urteil vom 20.04.2011, Randnummer 108). Zu diesen gehört auch die Begründung des LEP. Aus der Begründung zum LEP B VI 1.1 Abs. 3 Satz 2 lässt sich auch keine systematische Regel für Ausnahmen herleiten.

Die beiden Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gelten allerdings nicht generell, sondern zunächst für die beiden entschiedenen Fälle.

5. Konsequenzen für den Regionalen Planungsverband München:

  • Bei zukünftigen Regionalplanfortschreibungen ist auf Soll-Formulierungen, wenn es sich um Ziele handelt, möglichst zu verzichten.
     
  • Die LEP Normen B VI 1.1 und 1.5 sind abwägungsfähige Grundsätze – wobei zum Anbindungsgebot als Teil von B VI 1.1 (Abs. 3 Satz 2) das Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie eine andere Auffassung vertritt als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, und insoweit die Rechtslage unübersichtlich ist.
     
  • Der Regionale Planungsverband München soll seine Mitglieder über die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des VGH informieren unter Hinweis auf die teilweise unübersichtliche Rechtslage.

  

II. BESCHLUSSVORSCHLAG

  1. Vom Vortrag wird Kenntnis genommen.

  2. Der Geschäftsführer wird beauftragt, die Mitglieder des RPV München über die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu „Soll-Zielen" und ihre möglichen Auswirkungen zu informieren.

  

i.A.
Breu
Geschäftsführer 


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